Informationenbasierte Reziprozität vs. vermutungsbasierte Reziprozität

Während die ersten zwei Unterscheidungen relativ offensichtlich und leicht nachvollziehbar sind, ist letztere eher latent. Diese Differenzierung ist mir erst klar geworden, als ich versucht habe, die sine qua non Bedingungen für die Entstehung der Reziprozität in der Spieltheorie zu definieren. Erstens dachte ich, dass man über Reziprozität nur im Fall iterierter Spiele mit perfekter Information sprechen kann. Diese Überzeugung ist auch nicht falsch, jedoch nur, wenn die informationenbasierte Reziprozität gemeint wird. Es gibt nämlich eine alternative Möglichkeit, nämlich die vermutungsbasierte Reziprozität, die in den einmaligen Spielen oder iterierten Spielen mit unvollkommener Information zu Stande kommen kann. Wie ist dies möglich? Ein gutes Beispiel ist wieder im Gefangenendilemma zu finden. Während als eine klassische Exemplifizierung des informationenbasierten reziproken Handelns die TIT FOR TAT Strategie dienen kann, ist in ein einfaches Gefangenendilemma ein Beispiel der vermutungsbasierten Reziprozität.

Spieler 1/Spieler 2 kooperieren defektieren
kooperieren -1, -1 –10, 0
defektieren -0, -10 –7, -7

Im einfachen Gefangenendilemma muss der Spieler die Entscheidung theoretisch unabhängig von dem Interaktionspartner treffen. Das einzige Wissen über das er verfügt, ist dass sein Interaktionspartner sich in der gleichen Lage befindet und dass das Spiel einmalig ist. Er braucht also keine Angst vor der Möglichkeit zukünftiger Vergeltung zu haben. Sein Entschluss ist aber dennoch nicht vollkommen unabhängig vom anderen Spieler. Der muss nämlich seine Strategie vorhersehen und entsprechend auf die Vermutung reagieren. Weil er meistens eher die schlimmere Variante vermuten wird, verhält er sich reziprok zu der vermuteten Entscheidung seines Interaktionspartners und defektiert.

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