Individuum in der Masse

José Ortega y Gasset schrieb in seinem Aufstand der Massen:

Ihrem eigenen Trieb überlassen, neigt die Masse, sie sei, wie sie sei, plebejisch oder “aristokratisch”, immer dazu, aus Lebensbegierde die Grundlagen ihres Lebens zu zerstören.

Wie gut passt das zu den Ereignissen auf der letzten Loveparade… Ich habe mich mit dem Thema des Massenverhaltens und Massenpsychologie seit 5-6 Jahren nicht mehr wirklich beschäftigt, aber das Geschehen des letzten Wochenendes und viel mehr die öffentlichen Reaktionen darauf haben mich wieder zu den alten Büchern und Ausätzen geführt.

Man will jetzt unbedingt die Schuldigen finden. Man weiß doch dass man die Tragödie hätte verhindern können/ die Veranstaltung nicht hätte genehmigen sollen. Post factum ist man ja auch immer schlauer.

Ich will keinen rechtfertigen und auch keinen verurteilen. Was mich interessiert ist: kann man derartige Ereignisse vorhersehen? Oder sind das auch von ihrer Natur her “schwarze Schwäne”? Jedes Jahr passieren mehrere Crowd Disasters: Sportveranstaltungen, Konzerte, Demonstrationen, Religöse Veranstaltungen, deren Ablauf und Folgen ähnlich den bei der Loveparade sind. Hätte man sie alle verhindern können? Sicher gibt es Möglichkeiten das Risiko zu mindern aber kann man wirklich die Natur der Masse austricksen?

Man ist empört: “wie könnten nun die Menschen die liegenden zertrampeln”.

Abgesehen davon, das viele wahrscheinlich gar keine Möglichkeit hatten aus zu weichen, auch wenn sie gerade daran dachten, als Teil der Masse denkt man anders als als ein Individuum.

Allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein, steigt der Mensch also mehrere Stufen von der Leiter der Kultur hinab. Als einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Triebwesen, also ein Barbar. Er hat die Unberechenbarkeit, die Heftigkeit, die Wildheit aber auch die Begeisterung und die Heldenmut ursprünglicher Wesen, denen er auch durch die Leichtigkeit ähnelt, mit der er sich von Worten und Vorstellungen beeinflussen und zu Handlungen verführen lässt, die seine augenscheinlichsten Interessen verletzen.

schreibt Gustave Le Bon in der Psychologie der Massen. In der Masse geht das verloren, was die Menschen als Individuen ausmacht. Es entstehen kollektive Gefühle, kollektives Moral und kollektive Handlungen die nichts mit den Werten der Menschen die Teil der Masse sind zu tun haben. Die masse wird zu einem Organismus, das sein eigenes leben lebt.

Aber nicht nur das Ereigniss selbst, sondern auch die Berichterstattung wird von einem Massenverhalten (einer etwas anderer Art) gekennzeichnet. Die Berichterstatter und -empfänger werden zur Masse, die zwar nicht durch physische Nähe gekennzeichnet wird, aber durch kollektives Fühlen und Urteilen: Glorifizierung der Opfer und Suche nach dem Sündenbock.

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